Besser, schneller, weiter. (Essay)

Besser, schneller, weiter. (Essay)

Kilian

Besser, schneller, weiter. (Essay)

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Kilian

Der Gewinnerbeitrag in unserem Essaywettbewerb 2021 beschäftigt sich in fachlich exzellenter Art mit den positiven, wie auch herausfordernden Aspekten von Daten. Besonders würdigt die Jury die Kombination der leichten Sprache mit inhaltlich fundierten Argumenten, das wechselseitige Betrachten von Potential wie Gefahren und die Mischung von sehr zugänglicher, als auch innovativer Technologie.

Daten sind allgegenwärtig: Wir sprechen heute oft miteinander über Daten, ohne, dass es uns noch groß auffallen würde. Das merkt man schon an den Wörtern, die wir kennen. Wörter wie Datenvolumen, Datenerfassung, Logindaten, Datenrettung, Datenflut, Datendiebstahl oder Datenschutz haben sich spätestens in den letzten zehn Jahren in unserem Wortschatz verankert. Und Sprache reflektiert, was uns beschäftigt. Die Entwicklung unserer Sprache folgt der Entwicklung unseres Alltags. 

Daten sind allgegenwärtig

Alles, was auf unseren Bildschirmen zu sehen ist, besteht aus Daten, die entschlüsselt wurden. Digitalisierung bedeutet nichts anderes, als Dinge in digitale Daten zu fassen, die weiter in digitalen Prozessen verarbeitet werden. Natürlich sind nicht alle Daten digital. Solche, die wir auf vorgedruckte Blätter in Cafés schreiben, sind es beispielsweise nicht. Noch immer gibt es mit Aktenordnern gefüllte Schränke in vielen Büros und Arbeitszimmern. Aber perspektivisch steht es nicht gut um das Papier. Daten sind allgegenwärtig: Sie werden Systemen gefüttert, die man Künstliche Intelligenzen nennt, damit diese noch intelligenter werden und uns Bilder malen, unsere Sätze vervollständigen und Entscheidungen für uns treffen. 

Es gibt damals, es gibt heute, und es gibt die Zukunft. Hier soll es um die Zukunft gehen, aber um uns die Zukunft herzuleiten, müssen wir auch das Damals und das Heute verstehen. Die erste industrielle Revolution wurde von Webstuhl, Dampfmaschine und Eisenbahn eingeläutet. Plötzlich ging alles viel schneller. Immer, wenn die Industrie revolutioniert wurde, gab es diese eine Auswirkung: die Erhöhung der Effizienz. Bessere Produktionsergebnisse erzielt durch neue Technologien und Prozesse. So war es auch bei der zweiten industriellen Revolution, die von Elektrizität und Massenfertigung getrieben wurde, und der dritten, die ist gar nicht so lange her, etwa fünfzig Jahre. Vor fünfzig Jahren wurden Rechenmaschinen erfunden, Computer, durch die es möglich wurde, Arbeit von Maschinen durchführen zu lassen anstatt von Menschen.

Zusammen mit der Industrie wird auch unser Leben besser, schneller, effizienter. Die Computer, die zuerst in Universitäten, für das Militär und die Produktion entwickelt wurden, haben den Weg in unsere Häuser und Wohnungen gefunden, dann in unsere Hosentaschen. Man sagt, wir sind gerade mittendrin, man sagt nicht mehr vierte industrielle Revolution, das ist zu förmlich, zu alt, man nennt sie jetzt Industrie 4.0 

Morgens werde ich von meinem persönlichen Weckablauf geweckt: Erst das immer lauter werdende Gezwitscher von Vögeln, dann, wenn ich den Wecker via Sprachbefehl ausgeschaltet habe, startet der Radiosender, den ich vorher definiert habe. Noch im Bett liegend nehme ich mein Smartphone, scrolle durch Appbenachrichtigungen, Nachrichten, das Wetter, soziale Medien – bis ich den Entschluss fasse, aufzustehen. Meine Uhr kann mir eine Bewertung meiner Schlafqualität ausgeben, meistens gehe ich zu spät ins Bett, meistens ist mein Tiefschlaf zu kurz. Wenn die Situation nicht wäre, wie sie gerade ist, würde ich nach dem Fertigmachen die Bahn zur Arbeit nehmen, vorher in der App prüfen, ob sie pünktlich kommt, ob ich ein paar Minuten später aus dem Haus gehen sollte. In der Bahn versuche ich zu lesen, habe mittlerweile entdeckt, dass das auf meinem Smartphone besser funktioniert als in einem Buch, das ich zusätzlich mit mir herumtragen muss und ständig irgendwo vergesse. Bevor ich mich an meinen Schreibtisch setze, muss ich ein Tor mit Drehkreuz passieren, an das ich dafür meinen Werksausweis halte. Ich fahre meinen Computer hoch, logge mich mit meinen Mitarbeiterdaten ein, öffne das Mailprogramm und scrolle durch die Mails, ein Großteil davon Spam, Angebote für IT-Security-Lösungen, obwohl ich gar nicht in der IT-Security arbeite. Jedenfalls lösche ich den Spam, beantworte dann die tatsächlichen Arbeitsmails und irgendwann ist es Zeit für den ersten Call. Die Stimmen meiner Kolleg*innen werden über Datennetze von Indien bis in meinen Hörer übertragen, der Lag ist minimal. Ich teile meinen Bildschirm, meistens eine Slide in Unternehmensfarben, und zusammen arbeiten wir am Inhalt. In den Pausen scrolle ich durch Websites, die mich mit Popups auf die Nutzung meiner Daten hinweisen. Manchmal muss ich auf der Arbeit erklären, welche personenbezogenen Daten ein neues System erheben wird und wie unsere Löschpolitik dazu aussieht. Nur, wenn die Erklärung gut ist, darf das System später live geschaltet werden. In meiner Freizeit scrolle ich durch Apps und browserbasierte Websites, schieße Fotos und Videos, poste Bilder und Stories, texte und nehme Sprachnachrichten auf. Irgendwo wird mein Bewegungsprofil abgespeichert und ich bin zu faul, die Speicherung zu untersagen. Einmal sagt jemand zu mir: Daten sind das einzige Produkt, das besser wird, je mehr es genutzt wird, und ich muss oft daran denken. Wir haben uns daran gewöhnt, unsere Daten abzugeben, um digitale Dienste zu nutzen. Diese eine Hose, die wir uns einmal angesehen haben und die uns jetzt zwischen Textblöcken auf Nachrichtenseiten verfolgt, nehmen wir kaum noch wahr. Wir schätzen Vernetzung, barrierefreie Kommunikation und Sprachassistenten, die uns witzige Antworten geben, wenn wir sie fragen, ob sie uns lieben, oder die uns den Wikipediaartikel zu Dinosauriern vorlesen. Dass Informationen einfach so verfügbar sind, ist für uns selbstverständlich. Dass wir unsere Informationen abgeben, auch. 

Das ist das Heute. Daten sind allgegenwärtig. Aber das ist ja gar nicht das Thema. Das Thema ist: Daten im Jahr 2030. 

Auf der Arbeit kümmere ich mich um die Weiterentwicklung eines Datawarehouses. Wenn man mit dem Management von einer großen Menge an Daten vertraut ist, kennt man die Fallstricke: mangelnde Datenqualität, physikalische Limitierungen bei Übertragung und Auswertung, veraltete Systeme und Datenstrukturen. Sind wir mal ehrlich: Es ist alles unglaublich langsam. Wenn ich heute Daten in ein System eintragen, kann es Tage oder Wochen dauern, bis ich diese Daten auswerten kann. Wenn ich heute an der Einführung eines IT-Systems arbeite, ist es bei der Liveschaltung bereits veraltet. Wir rennen der technischen Entwicklung hinterher. 

Das ist das Heute. Die Diskussion über das Potenzial von Daten ist allgegenwärtig. Aber das ist ja gar nicht das Thema. 

Das Thema ist: Daten im Jahr 2030. 

Wenn ich an das Jahr 2030 denke, dann habe ich kein genaues Bild im Kopf. Alles ist verschwommen durch globalpolitische, globalökologisch und -ökonomische, sozialpolitische Unsicherheiten, die heute vorherrschen und deren Folgen man sich nicht vorstellen kann. Also will ich versuchen, vieles davon auszublenden, natürlich nicht alles, denn alles lässt sich nicht ausblenden. Ein paar Dinge aber schon. 

In einer idealen Welt 

In einer idealen Welt sind all die Effizienzen, die uns heute von Daten versprochen werden, verwirklicht. Nicht nur einzelne Produktionsanlagen, sondern gesamte Lieferketten sind digitalisiert und dadurch transparent. Dass Daten manuell eingegeben werden, ist die Ausnahme. Stattdessen gibt es überall Sensoren, die Daten aufnehmen, RFID- oder QR- oder Barcodescanner und konstanten Datentausch zwischen den Systemen, nah beieinander in einer Mega-Cloud. Wir können nachvollziehen, wo genau diese eine Avocado herkommt oder wo unser Diabetesmedikament hergestellt wurde. Durch Technologien wie die Blockchain wird Betrug in vielen Bereichen kaum mehr möglich sein; alles wird unlöschbar getrackt, alles ist transparent, alles ist miteinander verbunden. Durch die technischen Entwicklungen ist es kein Problem mehr, Real-Time-Daten auszuwerten. Basierend auf Kaufentscheidungen von heute und historischen Werten kann geplant werden, wie viele Rohstoffe am Anfang der Supply Chain bereitgestellt werden sollen. Die Planung ist sicherer, der Wettbewerb zwischen Zulieferern fairer und die Nutzung von Ressourcen effizienter. Durch vollautomatisierte Fabriken macht es keinen großen preislichen Unterschied mehr, wo produziert wird. Produktionsanlagen werden daher wieder nah am Endkunden platziert, was zu einer Schonung der Ressourcen und ausländischer Arbeitskräfte führt. 

Gene sind auch nur Daten. Durch die CRISPR-Genschere ist es gelungen, landwirtschaftliche Erzeugnisse schneller und besser unseren Bedürfnissen anzupassen, als es mit den altmodischen Methoden der selektiven Züchtung möglich wäre. Obst und Gemüse haben hohe Erträge und eine hohe Nährstoffdichte. Die Schädlingsabwehr ist genetisch eingebaut; wir müssen dafür keine giftigen Mittel mehr in der Luft versprühen. Zusätzlich forscht man daran, genetisch hervorgerufene Krankheiten im Mensch auszurotten – die Ethikkomittees streiten jedoch über diesen Anwendungsbereich. 

Was es nicht mehr gibt: Die Vierzigstundenwoche. Da IT-Systeme einen großen Teil der Arbeit übernehmen, werden Kapazitäten im Arbeitstag frei. Die Politik hat selbstverständlich mitgedacht und entsprechende Arbeitszeitgesetze verabschiedet, sodass unsere Arbeitszeit insgesamt vermindert wird, aber nicht unser Gehalt. Was es auch nicht mehr gibt: den klassischen Arbeitsplatz. Die meisten Meetings finden digital statt, nun unterstützt durch VR-Technologien, die fast ein normales face-to-face Gespräche ermöglichen. Auch technische Berufe können von zu Hause aus durchgeführt werden, denn in den Maschinenräumen befinden sich Roboter mit Kameras, die man fernsteuern kann. So ist es, als würde man vor Ort arbeiten, während man eigentlich mit einer VR-Brille am heimischen Schreibtisch sitzt. 

Durch das Erheben von Bewegungsdaten ist man in der Lage, die städtische Infrastruktur an die neuen Anforderungen anzupassen. Private Autos werden immer weniger genutzt. Selbstfahrende Fahrzeuge in unterschiedlichsten Ausführungen lösen immer weiter den klassischen ÖPNV mit Bus und Bahn ab. Die Städte werden entlastet, da es die Menschen aufs Land zieht, ermöglicht durch den hohen Anteil des flexiblen Arbeitens. Während private Treffen immer noch der Normalität entsprechen, nutzen wir zusätzlich die Möglichkeiten der VR-Technologie im Freundes- und Familienkreis. Das Zusammenkommen in digitalen Räumen ist mittlerweile eine gute Alternativen zu einer stundenlangen Reise mit dem Auto, um die Eltern mal wieder zu sehen. Freundeskreise werden zudem globaler: Bei digitalen Treffen mach es kaum noch Unterschiede, ob ein*e Freund*in im Haus nebenan, in Frankreich oder in Namibia wohnt. Es haben sich neue, globale Freundes- und Interessensgruppen gebildet. 

Der gesamte Gesundheitssektor hat sich neu aufgestellt. Durch Millionen Gesundheitsdaten sind Bots mittlerweile schneller und effizienter darin, korrekte Diagnosen zu stellen als die meisten Haus- und Fachärzt*innen. Man kann sich fast jeden Gang in eine Praxis sparen, außer, es müssen bestimmte Tests oder Behandlungen durchgeführt werden. Auch hier kommt VR-Technologie zum Einsatz. Medikamente werden mittlerweile in Smart Containern statt in Tablettenform verabreicht: Wir schlucken einmalig den Container, und für Monate wird die korrekte Dosis des Wirkstoffes in unseren Körper gelassen. Krankenkassen sind in der Lage, für jedes Mitglied aufgrund seines Profils abzuleiten, welches der optimale Lebensstil hinsichtlich Ernährung und Bewegung ist und positive Anreize zu schaffen, gesund zu leben. Die Nutzung von Wearables, die Körperfunktionen und Umweltdaten messen und mitschreiben, ist normal. Wir haben die Möglichkeit, auf ihre Körperdaten zuzugreifen, beispielsweise um ihre Fitnessentwicklung zu beobachten oder einen Krankheitsverlauf. Die Armbänder werden nach und nach von Smart Implants ersetzt, die genauer und besser in den Messungen sind und die Batteriefrage lösen. Alle Schüler*innen genießen die gleiche Qualität an Bildung, hauptsächlich vermittelt über digitale Medien. Die Qualität kann gemessen und gezielt gesteuert werden. Je nach Interesse werden neben dem Grundstoff individuelle Lern- und Lehrpläne erstellt. Lehrende agieren hauptsächlich unterstützend und als Mentor*innen. 

Die Smart Assistants wurden weiterentwickelt, sind nicht mehr nur Ton, sie drücken sich jetzt auch in Bildern aus, in Videos. Sie sollen nicht mehr den Anschein von Maschinen erwecken, sondern von Menschen oder anderen Avataren. Sie haben einen richtigen Charakter. Auch sie sind individualisiert, jede*r von uns kann seine*n Assistant nach den eigenen Bedürfnissen formen. 

Alle unsere Daten, die erhoben werden, sind geschützt. Wir teilen nur, was wir wollen, und die Maschinen unterstützen in der Sicherheit unserer Daten. 

In einer idealen Welt sind Daten das Blut, das durch den gesellschaftlichen Körper fließt. Die ideale Welt ist das, was uns versprochen wird. 

In der Welt, vor der uns SciFi-Filme warnen

In der Welt, vor der uns SciFi-Filme warnen, herrscht Abschottung und Manipulation auf jedem Level. 

Der Arbeitsmarkt hat sich insoweit umstrukturiert, als dass es fast nur noch Stellen gibt, in denen man sich um IT-Systeme kümmern muss. Und von denen auch nicht mehr viele; die Maschinen erledigen die meiste Arbeit. Ein beträchtlicher Teil der Menschen fühlt sich abgehängt. Umschulungen, die IT-Wissen vermitteln sollen, funktionieren nur bei einem Bruchteil der ehemaligen Arbeiter*innen. Es herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Gig-Arbeiten als Kurier- oder Taxifahrer*in sind hart umkämpft und die Preise dadurch so sehr gedrückt, dass man wirklich nicht mehr davon leben kann. Diejenigen, die mit IT-Systemen arbeiten, versuchen, ihren Lebensstandard durch Abschottung aufrecht zu erhalten. Auch in Deutschland gibt es vielerorts Gated Communities, abgegrenzte Bereiche, in denen die Reichen leben. 

Es herrscht Datenchaos. Anstatt sich auf Industriestandards zu einigen und Daten universell zu strukturieren, versucht jedes Unternehmen, seine durch Daten ermöglichten Erträge zu maximieren und sich abzuschotten. Dadurch gibt es größte Probleme an Datenschnittstellen. Viele Unternehmen haben riesige Datenfriedhöfe, da das Potenzial nicht wirklich genutzt werden kann. Um diese Datenmengen unterzubringen, werden Serverfarmen in großen Ausmaß gebaut. Mehr und mehr Ressourcen werden verbraucht, ohne, dass es dafür einen nennenswerten Mehrwert gäbe. Systeme, die wir Künstliche Intelligenzen nennen, werden mit veralteten oder qualitativ schlechten Daten gefüttert. Da bereits so viele Stellen abgebaut sind, vertraut man trotzdem auf ihr Urteil. 

Regelmäßig steht der Nah- und Fernverkehr still. Durch die Digitalisierung macht man sich digital angreifbar. Dadurch, dass alles vernetzt ist, können ganze Städte, Regionen oder selbst Länder von Cyberkriminellen angegriffen und auf einmal lahmgelegt werden. Die Lösegeldsummen, die in einem Jahr ausgezahlt werden, gehen in die Milliarden. Wenn man Chat- oder Telefonsupport erhält, ist es nicht mehr klar, ob man mit einem Mensch oder einem Bot spricht. Bots sind so weit entwickelt, dass sie ohne Probleme natürliche Sprache nachahmen und einen eigenen Charakter entwickeln können. Und in VR- Räumen treten sie auch mit Video auf – eigentlich nicht mehr zu unterscheiden von realen Personen. Wenn einem eine neue Kollegin in einem VR-Raum vorgestellt wird, die man wegen der großen Entfernung nie tatsächlich treffen wird, muss man sich fragen, ob sie wirklich ein echter Mensch ist oder doch ein Bot, der einen Menschen imitiert und durch den die nächste Stelle wegrationalisiert wurde. Man ist skeptisch gegenüber Bots, die Arbeit übernehmen, denn sie sind dafür bekannt, Gespräche, die man im Vertrauen geführt hat, an den Arbeitgeber weiterzugeben und Arbeitsleistung zu überprüfen. Diese Skepsis überträgt sich auch ins Private. Cyberkriminelle nutzen Bots, um Menschen näherzukommen und sie auszunutzen oder sensible Daten abzufangen, die zum Identitätsdiebstahl verwendet werden. Viele Menschen führen virtuelle Beziehungen mit Maschinen, und viele von ihnen wissen davon nichts. Einige wissen davon, entscheiden sich bewusst dafür. Sie ziehen eine Beziehung zu einem Bot der zu einem Menschen vor; einen Bot kann man nach seinen eigenen Vorstellungen formen. 

Fast alle unsere Daten, die erhoben werden, sind ungeschützt. Versicherungen nutzen Verhaltens- und Gesundheitsdaten, um abzuschätzen, ob man versichert wird oder ein zu hohes Risiko darstellt. Banken nutzen sie, um zu entscheiden, ob ein Kredit bewilligt wird oder nicht. Es gibt eine Prämie, wenn man seine DNA sequenzieren lässt und mit seiner Versicherung teilt. Und ärgert sich, wenn der Versicherungsbeitrag daraufhin wegen erblich bedingter Krankheiten erhöht wird. Ungesundes Verhalten wird sanktioniert. Wobei die Berechnung von “ungesundem Verhalten” automatisiert und aufgrund mangelnder qualitativer Daten überaus streitbar ist. Verhalten wird sanktioniert. Man fühlt sich von vorne bis hinten kontrolliert. 

Die Menschen sind es gewohnt, dass alle Informationen schnell online verfügbar sind, beispielsweise auf Wikipedia. Sie können sich nicht mehr vorstellen, sich selbst um diesen Content zu kümmern. Dadurch ist der größte Teil der online verfügbaren Informationen in den Händen von wenigen, die sich darum bemühen, nur bestimmte Aspekte und diese nur auf eine bestimmte Art und Weise darzustellen. 

Es gibt keine klassischen Nachrichtenartikel mehr. Jeder online zugängliche Artikel wird individuell und live auf den*die Nutzer*in angepasst, der*die ihn gerade liest. Diese Artikel sind so konzipiert, dass das man sie gerne liest, da sie die eigene Meinung bestätigen; gleichzeitig wird der*die Leser*in in dieser Meinung weiter manipuliert, um politische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. 

In der Welt, vor der uns SciFi-Filme warnen, ermöglichen Daten massenhaft Überwachung und Manipulation auf höchster Ebene. Wir sollten diese Warnungen ernst nehmen. 

Quo Vadis?

Es ist streitbar, ob Datenvernetzung und -verarbeitung im größten Stil tatsächlich die nächste industrielle Revolution auslösen. Schließlich wurden die letzten Revolutionen erst im Nachhinein erkannt und als solche benannt. Von Industrie 4.0 spricht man dagegen schon seit Jahren, noch bevor es die erste richtig digitale Fabrik überhaupt gab. Außerdem, sagen einige Stimmen, habe IT-Technologie bereits zur dritten industriellen Revolution geführt, damals, in den 60ern. Man könne doch nicht zwei Revolutionen auf eine Technologie zurückführen, oder? 

Dennoch bin ich der Meinung, dass die Idee der Industrie 4.0 nicht falsch ist. Wir erleben doch selbst, wie sich alles verändert, wie sich die gesamte Gesellschaft den neuen technischen Gegebenheiten anpasst. Außerdem hat jede technische Neuerung die letzte bedingt: Computer wären nicht ohne Elektrizität erfunden, und diese nicht in einer Welt ohne Webstuhl und Dampfmaschine entdeckt worden. Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass fortan die wichtigsten technischen Entwicklungen im Digitalen stattfinden werden. Dass das Digitale seinen eigenen Raum eingenommen hat. Aber zurück zu meinen Szenarien: Im Jahr 2030 wird keins der beiden eingetreten sein. Jedenfalls nicht gänzlich; es wird eine Mischung sein aus positiven und negativen Effekten, von Daten hervorgerufen. Und es sollte in unser aller Interesse sein, die Entwicklung so zu steuern, dass die positiven Effekte vorwiegen. Dafür brauchen wir funktionierende Kontrollorgane und mündige Bürger*innen, denen die Tragweite von dem, was heute passiert, bewusst ist. 

Diesen Text speichere ich in der Cloud, in meinem Kalender setze ich mir eine Erinnerung für den 1. Januar 2030. Dann sollten wir es wissen. 

Bis dahin ist eines sicher: Daten sind allgegenwärtig. Und sie bleiben es.

Angela Regius, geboren 1991, macht Spagat zwischen einem Job in der IT und ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin. Sie lebt in Frankfurt am Main, arbeitet in Darmstadt und studiert in Hildesheim. Bis 2013 Studium der Wirtschaftsinformatik in Mannheim, Darmstadt und Shanghai. Sie war Teilnehmerin diverser Textwerkstätten und von ihr geschriebene Texte wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 2021 erhielt sie das Gedok-Stipendium des Landes Schleswig-Holstein für die Arbeit an ihrem ersten Roman. 

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